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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 06.05.2003
Aktenzeichen: 16 UF 238/02
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 1612 Abs. 2 S. 2 | |
ZPO § 621 e Abs. 1 |
2. Zur Bestimmung über die Art der Unterhaltsgewährung für einen auswärts studierenden Studenten.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE
Karlsruhe, 06. Mai 2003
wegen Abänderung der Unterhaltsbestimmung
Beschluss
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegner gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Mannheim vom 09.12.2002 - Az. 24 F 22/02 - wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegner haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Beschwerdewert beträgt 3.000,00 €.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin hat am 28.05.2002 beim Amtsgericht - Familiengericht - E. einen Antrag auf Abänderung einer Unterhaltsbestimmung nach § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB gestellt. ... Das Amtsgericht M. hat nach schriftlicher Anhörung der Beteiligten durch die zuständige Rechtspflegerin im Beschluss vom 09.12.2002 (...) festgestellt, dass die von den Antragsgegnern getroffene Unterhaltsbestimmung dahin abgeändert wird, dass ab 28.05.2002 die Unterhaltsleistung in Form einer Geldrente zu erbringen ist.
Der Beschluss wurde den Antragsgegnern am 12.12.2002 zugestellt (...). Gegen ihn wenden sie sich mit ihrer am 09.01.2003 eingelegten und zugleich begründeten sofortigen Beschwerde (...). Sie machen geltend, sie seien finanziell nicht in der Lage, Unterhalt in Form einer Geldrente zu leisten, die Entgegennahme von Naturalunterhalt sei der Antragstellerin zumutbar. Die Antragsgegner haben ein Monatseinkommen von etwa 3.034,00 € (Vater: 1.621,69 € Lohnzahlung und Mutter: 1.006,00 € Rente BfA und 406,70 € Rente ZVK).
Die Antragstellerin hält den angegriffenen Beschluss für richtig und wendet ein, ihr sei unzumutbar, täglich mehr als vier Stunden Zeit für die Hin- und Rückfahrt zum Studienort aufzuwenden, zumal sie kurz vor dem ersten juristischen Staatsexamen stehe.
II.
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegner ist entsprechend §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 4, 621 a ZPO zulässig.
1. Seit dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I, Seite 29, 42) am 01. Juli 1998 ist für eine gerichtliche Änderung einer Unterhaltsbestimmung nach § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB das Familiengericht, nicht mehr das Vormundschaftsgericht zuständig. Das Verfahren ist gem. §§ 3 Nr. 2 a, 14 RpflG grundsätzlich dem Rechtspfleger zugewiesen. Die Wahrnehmung des Geschäfts durch den Richter ist ohne Einfluss auf die Wirksamkeit der Entscheidung (§ 8 Abs. 1 RpflG).
Es entspricht einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass auf das Verfahren im Hinblick auf den rechtsgestaltenden Charakter der angestrebten Entscheidung das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) anzuwenden ist (KG FamRZ 2000, 256; OLG Oldenburg FamRZ 2001, 363; OLG Köln FamRZ 2002, 111; Palandt/Diederichsen, BGB, 62. Aufl., § 1612 Rn. 21).
Gem. § 64 Abs. 3 FGG gelten in Angelegenheiten, die vor das Familiengericht gehören, die Vorschriften im Buch 6 Abschnitt 2 und 3 der ZPO. Das Rechtsmittel in diesen Angelegenheiten ist die in § 621 e Abs. 1 ZPO geregelte befristete Beschwerde. Die Vorschrift führt jedoch die durch Verwandtschaft begründete gesetzliche Unterhaltspflicht (§ 621 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) nicht auf. Die Änderung der Unterhaltsbestimmung nach § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB ist indessen unstreitig Ausfluss der gesetzlichen Unterhaltspflicht, nicht etwa des Sorgerechts (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 621 Rn. 13; Büttner in FamRZ 1998, 586; OLG Frankfurt FamRZ 2000, 1424).
Auch § 621 a Abs. 1 ZPO, der auf das FGG mit Modifikationen zurückverweist, erfasst nicht die Familiensachen nach § 621 Abs. 1 Ziffer 4 ZPO.
Es liegt nahe, dass der Gesetzgeber das durch die Änderung der Zuständigkeit begründete Regelungsbedürfnis für Verfahren der vorliegenden Art übersehen hat und, hätte er dieses gesehen, entsprechend der Systematik der Rechtsmittel in Familiensachen die befristete Beschwerde nach § 621 e ZPO hierauf ausgedehnt hätte. Dementsprechend hat das OLG Frankfurt (FamRZ 2000, 1424) eine analoge Anwendung der §§ 621 a, 621 e ZPO auf Verfahren nach § 1612 Abs. 2 BGB angenommen. Sachliche Gründe für das Fehlen einer Rückverweisung bzw. einer Einbeziehung in die Rechtsmittelvorschrift sind nämlich nicht ersichtlich. Sinn und Zweck der Zuständigkeitsänderung durch das KindRG war es nicht, dieses Verfahren aus dem Kreis der Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit herauszulösen bzw. für Entscheidungen in diesen Verfahren keine Rechtsmittel mehr vorzusehen. Im Gegenteil war es nach der Begründung des Entwurfs des KindRG der ausdrückliche Wille, die bestehende Einbindung der in die Zuständigkeit der Familiengerichte übernommenen Verfahren in die jeweiligen Verfahrensordnungen der ZPO und des FGG beizubehalten. Hiermit sollte erreicht werden, dass diese Verfahren weiterhin, unter Einbeziehung in den bislang schon für die Familiensachen geltenden Verfahrensrahmen der §§ 621 a bis 621 e ZPO, nach dem der Praxis vertrauten Verfahrensrecht abgewickelt werden. Auf ein neues einheitliches Familienverfahrensrecht wurde im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich verzichtet. Auf dieser Grundlage muss davon ausgegangen werden, dass die fehlende ausdrückliche Einbeziehung des § 621 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bzw. zumindest des § 1612 Abs. 2 BGB in die §§ 621 a, 621 e ZPO eine versehentliche Regelungslücke darstellt.
Zur Schließung dieser Lücke bedarf es der am Normzweck und den Geboten der Prozessökonomie orientierten Gesetzesanwendung. Eine solche Analogie ist auch im Prozessrecht grundsätzlich zulässig. Der Senat knüpft hierbei an die Regelungen der §§ 621 a, 621 e ZPO an. Zwar handelt es sich bei diesen Vorschriften um Ausnahmenormen, es ist aber anerkannt, dass auch Ausnahmeregelungen analogiefähig sind, soweit ihnen ein allgemeiner Rechtsgedanke zugrunde liegt (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., Einleitung Rn. 97, mit weiteren Nachweisen). Hiervon ist auszugehen.
Die am 09.01.2003 durch die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegner eingelegten sofortigen Beschwerden sind form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden.
2. In der Sache hat die sofortige Beschwerde aber keinen Erfolg.
Nach § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB kann das Familiengericht auf Antrag des Kindes die Bestimmung der Eltern, in welcher Form sie Unterhalt gewähren, ändern, wenn ein besonderer Grund vorliegt. Die Frage, ob besondere Gründe eine Änderung der Bestimmung rechtfertigen, ist durch eine Interessenabwägung zu beantworten. Solche Gründe liegen dann vor, wenn die Bestimmung der Eltern dem wohlverstandenen Interesse des Kindes zuwiderläuft. Bei der Bestimmung, auf welche Art und Weise Unterhalt gewährt wird, haben die Eltern auf die Interessen des Kindes Rücksicht zu nehmen. Denn nicht nur das unterhaltsbedürftige Kind hat nach § 1618 a BGB auf die wirtschaftlichen Interessen der Eltern angemessene Rücksicht zu nehmen, indem es den leichter aufzubringenden Naturalunterhalt entgegennimmt; auch die Eltern haben auf die Belange des Kindes die gebotene Rücksicht zu nehmen, was in § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB ausdrücklich hervorgehoben wird. Dazu gehört auch, dass das Kind in die Lage versetzt werden muss, die von ihm gewählte Berufsausbildung erfolgreich abschließen zu können. Eine solche Rücksichtnahme liegt vorliegend aber nicht vor. Die Antragstellerin studiert an der Universität in Mannheim. Die Universität kann von der Wohnung der Antragsgegner, wo die Antragstellerin ein Zimmer beziehen soll, nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit einer Fahrtzeit von etwa zwei Stunden für die einfache Fahrt erreicht werden. Dies bedeutet einen täglichen Zeitverbrauch von ca. vier Stunden für Hin- und Rückfahrt. Eine solche Reisezeit zum Studienort ist der Antragstellerin, die sich in der Examensvorbereitung (erstes juristisches Staatsexamen) befindet, nicht zuzumuten. ...
Der Einwand der Antragsgegner, die Antragstellerin könne z. B. auf schnellere Züge ausweichen, um auf diese Art Zeit einzusparen, ist widersprüchlich, da die Fahrten mit dem IC oder ICE erheblich teurer sind als Fahrten mit der Regionalbahn, die die Klägerin mit dem Semesterticket benutzen kann, und nicht vorgetragen wird, dass diese Mehrkosten von ihnen übernommen werden.
Der Antragstellerin kann auch kein Vorwurf wegen der Auswahl des Studienortes gemacht werden. Sie hat unbestritten vorgetragen, dass ihr der Studienplatz in Mannheim von der ZVS (Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen) zugeteilt wurde.
Da es auch im Interesse der Antragsgegner liegt, dass die Antragstellerin ihr Studium möglichst zügig beendet, was nur dann möglich ist, wenn sich die An- und Abfahrtswege von der Wohnung bis zur Universität in einem erträglichen Rahmen halten und die verbleibende Zeit sinnvoll für das Studium genutzt werden kann, entspricht die Entscheidung des Familiengerichtes dem wohlverstandenen Interesse der Antragstellerin am besten (vgl. zum Problem der Anfahrtswege auch OLG Celle, FamRZ 2001, 116). Auch die von den Antragsgegnern vorgetragenen wirtschaftlichen Verhältnisse berechtigen nicht, die Antragstellerin auf den Naturalunterhalt zu verweisen (über die mögliche Höhe einer etwaigen Geldrente war im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden ).
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 30 Abs. 2, Abs. 3 KostO.
Ende der Entscheidung
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